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Die Likes verschwinden von Instagram. Was nun?
Als Insider in einem System, dass sich ständig wandelt und doch immer wieder mit denselben Vorwürfen zu kämpfen hat möchte ich euch heute meinen persönlichen Einblick geben und gerne auch mit euch darüber diskutieren.
Instagram wird seit Jahren vorgeworfen, mentale Probleme, bis hin zu schweren Depressionen zu verursachen. Die Vergleichbarkeit von Likes, Followerzahlen und Views übt enormen Druck auf User aus und zerstört das positive Erlebnis heißt es oft.
Eigentlich sollten uns doch Likes, also virtuelle Bestätigung glücklicher machen. Schließlich sind sie ein Gewinn gegenüber der Zeit als man sich das Lob seiner Mitmenschen noch umständlich verdienen oder schlimmer darum bitten musste. Bestätigung zu geben und zu bekommen war nie so einfach, billig und…. gleichzeitig unbedeutend. Bleibt diese virtuelle Bestätigung aus oder fällt geringer aus als erwartet, so fühlen wir uns in unserem Stolz gekränkt. Das ist oft schlimmer, als wenn uns an einem Abend niemand ein Kompliment für unsere neues Kleid gemacht hat, denn der Makel der „Unbeliebtheit“ oder „Minderwertigkeit“ ist nicht nur in unserem Kopf, sondern virtuell festgehalten. Einfach gesagt, hast du 1000 Likes bist du trotz gigantischer Microblading Augenbraue ein heißer Feger, hast du keine 50 bist du ein nobody.
Niemand, auch nicht ältere Nutzer können sich von diesen Gefühlen befreien, die Dimensionen sind nur anders. Bei mir ist es bspw. so, dass manche Bilder nur knappe 1.000 Likes erhalten und andere bis zu 11.000. Sind meine Zahlen niedrig, hinterfrage ich meinen content unterbewusst und denke, wieso versteht das Keiner?! Geht ein Post durch die Decke fühle ich mich oben auf und denke alles richtig zu machen. Beide Gefühle sind unsinnig und doch kann ich mich Ihrer nicht ganz erwehren, und das obwohl ich die Mechanismen bei Instagram kenne und weiß wieso manche Bilder vom Algorithmus in jeden Feed gespült werden und manche keiner sieht. Nicht die Qualität oder Kreativität oder gar meine Schönheit oder Klamotten entscheiden ob einer von Euch das Bild sieht, sondern ein Computerprogramm.
Wie muss es den Menschen gehen, die dieses System nicht kennen und glauben, dass ihre 10 Likes Ausdruck eines Mangels wären?
Nun Instagram reagiert nach vielen Jahren jetzt auf diesen Vorwurf und möchte, glaubt man dem Facebook Konzern damit den Druck aus Social Media nehmen. Die Halbherzigkeit mit der dies geschieht, lassen jedoch Zweifel an den Hehren Motiven aufkommen. Wieso bleiben Kommentarzahlen und Followercount weiterhin sichtbar? Wieso wir der Zusatz „…und tausend/ millionen weiteren“ hinzugefügt?
Kann es sein, dass sich dieses neue Feature eher gegen die Community richtet? Es stehen Behauptungen im Raum, dass Instagram damit weiter seine „Promotion“ Sparte, in der Business User für mehr Aufmerksamkeit ihrer Posts zahlen sollen, weiter stärken möchte und Influencern uns Celebrities einen Teil ihrer Faszination nehmen möchte. Die Ex Assistentin von Influencer- Pioneer Kristina Bazan, Fiona Zanetti (inzwischen selbst Influencerin) hat so ein Statement bspw. kürzlich veröffentlicht.
Welche Motive auch immer dahinter stecken, mein erstes Gefühl war eher positiv. Wieso? Einer der nervigsten Effekte bei Instagram (der auf alle Bereiche des Lebens leider zutrifft) wird etwas abgeschwächt: Der Schaf-Effekt. So nenne ich das Mindset von Menschen, die immer auf den Zug springen, der am meisten Hype bzw. Zustimmung hat. Ich habe zu diesem Thema mal einen ausführlichen Blogbeitrag geschrieben, den ihr HIER nachlesen könnt. Stellt euch mal vor, die ganzen Schafe da draußen sehen jetzt nicht mehr welches Bild schon von Anderen für gut befunden wurde… dann wird man ja schon fast zu einer eigenen Meinung gezwungen….nicht auszudenken…fast schon dramatisch :D. Vielleicht sind wir dann mal an einem Punkt an dem Qualität nicht länger nur ein Nischendasein fristet auf Instagram? Es bleibt natürlich das „Aber“, denn wie gesagt sieht man immer noch, wer wie viele Abonnenten hat und so wissen die Schafe weiterhin wo ihre Herde ist und wem man folgen soll.
Eine kleine Randbemerkung hierzu: Wenn ich selber Bilder mit über 10k Likes sehe, schreckt mich das eher ab und ich versuche Bilder mit weniger Likes zu unterstützen….so unterschiedlich können Menschen sein.
Vielleicht ist die Ausblendung der Likes ein richtiger Schritt zu mehr Kreativität und weniger Homogenität auf dieser Plattform. Vielleicht finden Menschen wieder Spaß daran Urlaubsbilder hochzuladen ohne diese an für sie ohnehin unbedeutenden Kennzahlen zu messen. Schließlich ist ein Like sowieso nur ein sehr subjektiver Ausdruck des persönlichen Geschmacks und in erster Linie auch des Zeitgeists.
Letztlich haben diese ganzen Zahlen Instagram in meinen Augen die Unschuld genommen und die Plattform zu einem Handelsplatz werden lassen. Vielleicht kommt dieser ursprüngliche frische Wind ein Stück Weit zurück…vielleicht ist es aber auch nur ein bisschen Rouge, dass der Bestatter liebevoll aufträgt, bevor er die längst erstarrte und kalte Leiche den Trauernden Gästen noch einmal vorführt bevor er sie für immer begräbt.
Die Zeit wird es zeigen. Was denkt ihr? Lasst uns diskutieren!
Eure PALINA KOZYRAVA
ENG
The likes are disappearing from Instagram. What’s next?
As an insider in a system that is constantly changing and yet repeatedly struggling with the same accusations, I would like to give you my personal insight today and also discuss it with you.
Instagram has been accused for years of causing mental problems, including severe depression. Some say: The comparability of likes, followers and views exposes users to enormous pressure and destroys the positive experience.
Actually the likes, which are virtual confirmation should make us happier. After all, they are a gain compared to the time when you still had to earn compliments of your fellow human beings awkwardly. Giving and receiving confirmation has never been so easy, cheap and …. at the same time insignificant. If this virtual confirmation fails or turns out to be less than expected, we feel hurt in our pride. This is often worse than not getting complimented on our dress during an evening, because the stigma of “unpopularity” or “inferiority” is not just displayed in our mind, but virtually. Simply put: If you have 1000 Likes you are hot (despite you gigantic Microblading eyebrow :D), but if you have no 50 likes you are a nobody.
No one, not even older users can free themselves from these feelings, the dimensions are just different. For me it is a weird feeling as well: Some pictures only get close to 1,000 likes and others up to 11,000. If my numbers are low, I question my content subconsciously and think, why does not anyone understand what I am doing?! If a post goes through the ceeling, I feel like I’m on top and think everything I do is right. Both feelings are nonsense and yet I can not quite resist them, even though I know the mechanisms of Instagram and know why some images get promoted by the algorithm and others don’t. Not the quality or creativity or even my beauty or clothes decide if one of you sees the picture, but a computer program.
But how must someone feel, who doesn’t know this system and believes that his/her 10 likes would be the expression of a deficit?
Now Instagram reacts after many years to remove pressure from social media. The halfheartedness of this process however, raises doubts about the fine motives. Why are comment numbers and follower counts still visible? Why did they add the addition “… and a thousand/ millions more”?
Could it be that this new feature is more aimed against the community? There are claims that Instagram wants to further strengthen its “promotion” business, where business users should pay to get more attention on their posts, and that influencers and celebrities might loose part of their fascination. The ex-assistant of influencer pioneer Kristina Bazan, Fiona Zanetti (now an influencer herself) has published such a statement recently.
Whatever their motive is, my first feeling was rather positive. Why? One of the most annoying effects on Instagram (which unfortunately applies to all areas of life) is somewhat weakened: the sheep effect. That’s what I call the mindset of people who always jump on the train that has the most hype or approval. I’ve written a detailed blog post on this topic, you can read HERE. Imagine, all the sheep out there no longer see which picture has been massively approved by others… then one is almost forced to have his/her own opinion … not to imagine … almost dramatic :D. Maybe then we are at a point where quality is no longer just a niche on Instagram?
Of course there remains the “but”, because as I said, you still see who has the most followers and so the sheep continue to know where their herd is and whom to follow.
A little side note: If I myself see pictures with over 10k Likes, it scares me off a bit and I try to support pictures with fewer likes …thats how different people can be.
Perhaps the disappearance of likes is a real step towards more creativity and less homogeneity on this platform. Maybe people will again enjoy uploading holiday pictures without measuring themselves by insignificant like counts. After all, a like is only a very subjective expression of personal taste and, above all, of the zeitgeist.
In the end, all these Instagram numbers have taken the innocence in my eyes and converted the platform a bit into a trading place. Maybe this original fresh wind is coming back … but maybe it’s just a bit of blush that the mortician affectionately applies before he shows the long-stiffened and cold corpse to the mourning guests again, before he buries them forever.
Time will tell. What do you think? Let’s discuss!
Your PALINA KOZYRAVA
Picture Credit: freepik
Leni says
toller und reflektierter blog post, bin gespannt was aus instagram wird, finde nämlich die plattform zunehmend langweilig…
Mara says
Ich finde es irgenwie komisch ohne Likes. Für mich hat sich erstmal nichts geändert. Zwar sehe ich die Likes jetzt nicht mehr, aber andere schon. Also wo ist der Gewinn für mich?
Melanie says
I love how you approach topics. It’s almost scientific in some sort of way. Well written, well thought. Keep it up.
Hannah says
Sehr guter Beitrag! Bin gespannt wie es weiter geht. Irgendwas muss sich halt echt ändern!
Milena says
Finde dieses rumgedoktore etwas nervig. Wie bei Facebook als aus dem Feed die Chronik bzw. Timeline wurde. Irgendwie unnötig verschlimmbessert alles. Was aus Facebook wurde wissen wir ja.
Cana says
Mega post!!!!! Du bringst es einfach auf den Punkt! Und dein letzter Vergleich mit der Leiche und dem rouge, einfach genial, hat mich umgehauen. GENAU das!
Marcus says
Das wäre tatsächlich eine interessante Wendung – fragt sich dann nur was als nächster Trend nach vorne springt, gerade wenn man die Historie & Sozialen Strukturen berücksichtigt (2007 Facebook anno dazumal – Möglichkeit ganz viel zu erzählen mit supervielen Funktionen wird super angenommen -> 2014 Menschen laufen zu Instagram um simpler, offener und direkter zu kommunizieren und nicht ewig Einstellungen vornehmen zu müssen -> 2016 Video/Tiktok & co (zuletzt die Insta Stories) werden immer stärker als Ausdrucksmöglichkeit -> 2019 LinkedIn als “neues Facebook” für Berufstätige und Entrepreneure -> 2020 Nischennetzwerke,,,,? Neues “big thing” ? LinkedIn
Marusja2002 says
Sehr gut geschrieben- reif und intelligent. Bravo Polina!
Lionel says
Ich hoffe das ich frei like bekomme